Seele in der Stimme

Andreas Kümmert, Neue Presse Coburg, 27.06.15

 

 

The Voice of Germany bei Leise am Markt: Andreas Kümmert bezaubert mit seinen mächtig zarten Blues- & Soul-Songs das Coburger Publikum.

„Nobody Loves You, When You’re Down And Out“. Gut möglich, dass Andreas Kümmert Eric Claptons Abgesang auf falsche Freunde und flüchtigen Ruhm kurz nach dem 5. März 2015 ins Repertoire genommen hat. Das war der Tag, als er dem Pop- Business den gestreckten Mittelfinger zeigte und das erste Gebot der Schneller-Höher-Weiter-Gesellschaft brach: Vor verdutztem TV-Publikum verzichtete der Favorit vermutlich im Affekt auf das Ticket zum Finale des Eurovision Sing Contest und damit auf die riskante Chance, sich auf internationaler Bühne zu produzieren. Die Folgen sind bekannt: Nachrückerin Ann Sophie erlebte in Wien ihr Null-Punkte-Debakel, Andreas Kümmert geriet in einen kapitalen Shitstorm und fiel als „Kneifer“ beim Zentralorgan des gesunden Menschenverstands, der Bild-Zeitung, nachhaltig in Ungnade („Bekommen die Kümmert-Anrufer jetzt ihr Geld zurück?“).

Kleinkunst-Oase Allerlei Merkwürdigkeiten machen seither die mediale Runde, doch der eigensinnige Unterfranke mit der kolossalen Stimme lässt sich davon offenbar nicht unterkriegen: Statt sich den Spielregeln der Musikindustrie auszuliefern und auf dem Karrierepfad zu verschleißen, spielt er dort, wo er sich heimisch fühlt und weitaus besser aufgehoben wirkt als im glamourösen Grand-Prix-Zirkus, in dem vor allem Pyrotechnik und Performance zählen. Die Clubs und Kneipen sind seit jeher die Welt des Singer/Songwriters – intime Locations wie das „Leise am Markt“. Die Newsletter-Abonnenten der Coburger Kleinkunst-Oase waren reichlich erstaunt, als ihnen vor ein paar Wochen das Star-Gastspiel angekündigt wurde – das denn auch binnen eines Tages ausverkauft war. Zu danken ist der Coup Antoinetta Bafas, der es immer wieder gelingt, Hochkaräter in das 100-Plätze-Sälchen zu locken, das sich binnen neun Monaten einen exzellenten Ruf und ein dankbares Stammpublikum erobert hat. Wie Max Herre und seine Mit-Juroren, so traute auch die Coburger Chorleiterin ihren Ohren nicht, als der kleine runde Mann aus Gemünden am Main bei „The Voice of Germany“ anhob, ein Millionenpublikum mit seinem unglaublichen Blues-Organ zu verzaubern. Antoinetta Bafas knüpfte Kontakte, setzte alle Hebel in Bewegung und lud Kümmert schon Anfang des Jahres nach Coburg ein, bevor er ins ESC-Rennen ging. Er sagte zu – und hielt sich dran.

Markantes Timbre „No events“ behauptet zwar der chronisch leere Konzertkalender seiner Homepage, die so tut, als wäre die Welt des Andreas Kümmert 2014 stehen geblieben. Ist sie aber nicht. Das Rest-Haupthaar hat der 28-Jährige mittlerweile geschoren, den Zottelbart auf Matrosenlook getrimmt, die Brille abgesetzt – doch die markante Stimme ist ihm geblieben: Mit beseelter Urgewalt bricht sie aus ihm heraus, ergreift sofort Besitz vom kleinen Raum und seinen Gästen und widerlegt jenen Gag, mit dem der Sänger gerne seine Gigs – auch diesen – eröffnet: „Ich bin der Klaus, der einzige Andreas-Kümmert-Tribute-Künstler Deutschlands. Der echte hat Auftrittsverbot, schreibt die Bild-Zeitung.“ Von wegen Klaus: Vor Nachah- mern und Doubles ist dieser Sänger sicher, denn er fasziniert nicht einfach nur als Vokal-Athlet. Den Blues und den Soul hat die Natur in seine Stimmbänder eingeschrieben, doch die Ausdrucks-Finessen hat sich der Autodidakt selbst erarbeitet: Seine Stimme kann schmeicheln und schneiden, röhren und röcheln, flehen und triumphieren, ohne je in Gefühlshascherei zu verfallen. In wenigen Takten rauscht Kümmert vom Himmel gen Hölle, er hat ein feines Gespür für Song-Dramaturgie und gibt jedem Lied sein ganz eigenes Gepräge. Als Basis genügt ihm die Westerngitarre, die sich mit der diskreten Begleitfunktion nicht bescheidet: Nuancenreich und versiert zupft und schlägt Kümmert die Saiten, beweist Virtuosität und Fee- ling in filigranen Intros und solistischen Eskapaden, fernab vom (Blues)Schema F erzeugt er instrumentale Spannung und Atmosphäre.

Groove und Gänsehaut Am Anfang steht natürlich der Blues – in Kümmerts Musikerleben und auch an diesem Abend –, doch der Solist hat viele Seiten, interpre- tiert mit Gänsehaut-Timbre Soul-Balladen wie „Easy“ oder „I Can See Clearly Now“, groovige Rhythm’n’Blues-Nummern oder das abgründige Doors-Epos „The Spy“. Dazwischen streut er eigene Titel ein, die von seinen Songwriter-Qualitäten zeugen und von den Sehnsüchten des „Simple Man“ (der Nummer-2-Hit darf natürlich nicht fehlen) erzählen. Im Endspurt seines Zwei-Stunden-Sets zündet er Elton John’s „Rocket Man“, durchmisst James Brown’s „Men’s World“ und kehrt mit „Sweet Home Chicago“ zurück zum erdigen Blues – mit dem sich das euphorische und sangesfreudige Publikum natürlich noch lange nicht nach Hause schicken lässt. Das Wunschkonzert entfällt zwar mangels Band, doch ein paar Perlen lässt sich Andreas Kümmert noch freudig entlocken, bevor er bereitwillig und ganz allürenfrei Autogramm- und Selfie-Wünsche erfüllt. Aber erst schlägt er noch, wohl ohne es zu ahnen, mit Leonard Cohens andächtig zelebriertem „Hallelujah“ den Bogen zum nächsten Event bei Leise am Markt: Am 3. Juli erweisen hier vier Musiker des Landestheaters dem großen Barden ihre Reverenz – im schon heute ausverkauften Haus.

Text: Dieter Ungelenk
Foto: Frank Wunderatsch

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